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Oberbürgermeister Max Granzin

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Vor 100 Jahren – Max Granzin zum Oberbürgermeister gewählt.

 Von Jürgen Schomburg

Eine politische Premiere

Am 10. Oktober 1919 erlebt Offenbach eine politische Premiere: die Wahl des Oberbürgermeisters durch ein nach demokratischen Regeln gewähltes Organ. Die Stadtverordneten, die über den OB zu entscheiden haben, wurden in der am 1. Juni abgehaltenen Kommunalwahl nach Verhältniswahlrecht bestimmt. Alle Bürger ab dem 21. Lebensjahr und erstmals auch die bisher nicht wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Auch wichtig: ein gewählter OB braucht nun nicht mehr die allergnädigste Zustimmung des Großherzogs in Darmstadt, denn der Großherzog ist seit November 1918 entmachtet und das Großherzogtum Hessen-Darmstadt ist jetzt der parlamentarische „Volksstaat Hessen“.

Die Offenbacher Sozialdemokratie, schon im Kaiserreich die stärkste Partei am Ort, hat zur OB-Wahl keinen Kandidaten aus der Stadt aufgestellt. Ihr langjähriger Führer von Format, Carl Ulrich, hätte einen Kandidaten abgegeben. Aber Ulrich ist nicht mehr in Offenbach, sondern führt in Darmstadt seit Anfang 1919 als Ministerpräsident die Geschicke des Volksstaats Hessen. So wird ein Auswärtiger nominiert: der Berliner Jurist Dr. Max Granzin, SPD-Mitglied und Geschäftsführer des „Bundes der technischen Angestellten und Beamten“.

In der Stadtverordnetenversammlung sitzen am 10. Oktober 27 Sozialdemokraten, an sich eine komfortable absolute Mehrheit der 48 Sitze. Aber die SPD hat sich im Vorjahr gespalten: die reformorientierte „Mehrheits-SPD“ stellt 15 Abgeordnete, die revolutionär gestimmte „Unabhängige SPD“ stellt 12 Abgeordnete. Es braucht daher zwei Wahlgänge, bis die Unabhängigen auf den Kandidaten der Mehrheit einschwenken. Mit Max Granzin hat Offenbach nun erstmals einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister.

Das ganze Wohl und Wehe der Weimarer Jahre

In den gut dreizehn Jahren seines Wirkens erlebt Max Granzin in dieser Industriestadt und vormaligen Hochburg der Sozialdemokratie das ganze Wohl und Wehe der Weimarer Jahre mit ihren großen Plänen und Initiativen, mit einer Achterbahnfahrt der Wirtschaft und der Finanzen, mit großen sozialen Fortschritten und großer Not in den letzten Krisenjahren. In einer aufs Äußerste zerklüfteten und verfeindeten politischen Landschaft fällt die Offenbacher SPD bei Kommunalwahlen schließlich hinter Kommunisten und Nazis zurück.

Wohl keine Offenbacher Stadtverwaltung war je mit größeren Struktur- und Finanzproblemen konfrontiert als diejenige der Weimarer Jahre und wohl kein Oberbürgermeister hat in den schweren Jahren ab 1927, als die enorme Arbeitslosigkeit in der Stadt die städtischen Finanzen und die politische Kultur zerrütteten, an seinem Amt und dieser Stadt so gelitten wie Max Granzin.

Das Ende

Die Amtszeit von Max Granzin wird bis zum 28. März 1933 dauern. An diesem Tag erscheinen die Nazi-Größen Offenbachs mit SA-Mannschaft im Büsingpalais und präsentieren die Absetzungsurkunde aus dem Innenministerium der neuen nationalsozialistischen Landesregierung. Der OB und alle leitenden Beamten der Stadt müssen sofort das Palais verlassen, auf dem die Hakenkreuzfahne aufgezogen wird. Max Granzin bleiben das Konzentrationslager und ein Schauprozess erspart, „nur“ die Pensionsansprüche werden aberkannt. Er stirbt am 30. November 1940 im 67. Lebensjahr.

Stadtprägende Entwicklungen unter Granzin

In den ersten Jahren der Weimarer Republik veranlasst die Stadt zahlreiche Baumaßnahmen, die das Stadtbild Offenbachs bis zum heutigen Tag prägen. Sie sollen die Wirtschaft wieder ankurbeln und Beschäftigung schaffen. Schon vor Granzins Amtsantritt hatte der Bau des neuen Friedhofs und des neuen Güterbahnhofs an der Grenzstraße sowie von Sport- und Freizeitanlagen am Bieberer Berg (Eißnert Park, Stadion) begonnen. 1920 geht es in großem Stil weiter: Im August 1920 erwirbt die Stadt das Büsingpalais aus privater Hand und baut es um zum Rathaus. Im September 1920 erfolgt der erste Spatenstich zur Eindämmung des Mainbogens zwischen Kuhmühlgraben und Mühlheim (beendet 1925). Bis dahin war Bürgel oft von verheerenden Hochwassern heimgesucht und von der Stadt abgeschnitten worden.

Und schließlich beginnen die Arbeiten zur Höherlegung der Fernbahntrasse, die bis dahin die Stadt ebenerdig durchschnitt, und zum Bau des neuen Bahnhofs (beendet 1925).

Nach der Währungsreform legt die Stadt ab 1925 ein Förderprogramm für den öffentlichen und privaten Wohnungsbau auf. Günstige Kredite werden bereitgestellt. Schließlich beginnt 1928 der Bau der vierspurigen Mainuferstraße, heute die wichtigste Verbindung nach Frankfurt.

Bewältigung der Kriegsfolgen

Der neue OB kommt in eine Stadt, in der noch gehungert wird. Städtische „Volksküchen“ und die Lebensmittelspenden der amerikanischen Quäker müssen noch bis Ende 1921 die Lebensmittelversorgung sichern.

 Die Wirtschaft Offenbachs, ab Herbst 1914 zur Kriegswirtschaft verformt, ist seit November 1918 ohne Aufträge und hat 4.000 Arbeitslose vor die Türen des städtischen Arbeitsamts gebracht. Die Stadt legt ein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm für 750 „Notstandarbeiter“ auf, die bei öffentlichen Arbeiten eingesetzt werden. Gott sei Dank erholt sich die Beschäftigung sehr schnell. Es klingt unglaublich – aber 1922 ist ein Jahr mit vielen Monaten ohne Arbeitslose.

 Der Krieg hat die Finanzen von Reich, Ländern und Gemeinden schwer beschädigt. 1920 kommt in höchster Not die große sog. „Erzbergersche Finanzreform“. Sie schafft dem Reich erstmals eine eigene Finanzverwaltung und neue Steuerquellen und nimmt den Kommunen einen Großteil ihrer früheren Steuerhoheiten und finanziellen Spielräume. Die kommunalen Finanzen sind vollständig neu zu ordnen.

 Noch ist diese Umwälzung nicht bewältigt, da gerät die Inflation außer Kontrolle, entwickelt sich 1923 zur Hyperinflation. Eine ordnungsmäßige kommunale Haushaltsplanung ist unmöglich geworden. Die Wirtschaft kollabiert, in Offenbach zählt man im November 1923 ca. 10.000 Kurzarbeiter und Arbeitslose. Die KPD unternimmt Putschversuche in Thüringen und dem Ruhrgebiet, und selbst in Offenbach basteln KPD-Leute an Handgranaten. Max Granzin sieht sich verschiedentlich in der Stadtverordnetenversammlung wilden Tiraden der KPD ausgesetzt – ein gewisser Heinrich Galm tut sich dabei hervor. Bereitschaftspolizei aus Darmstadt ist in der Stadt.

 Mit dem Währungsschnitt, mit dem alle Sparguthaben, Geldvermögen und Forderungen ihren Wert verlieren, und harten Notverordnungen, mit denen Gehälter, Löhne und Leistungen stark gesenkt werden, unternimmt die Reichsregierung den Befreiungsschlag. Wider Erwarten wirkt der Schlag. 1924 ist ein Jahr der wundersamen wirtschaftlichen Erholung auf breiter Front und der Beginn der „goldenen 20-iger Jahre“, die aber nur 6 Jahre bis Ende 1929 dauern werden.

Allein in schwierigstem Fahrwasser

 Im Sommer 1925 streiken die Lederarbeiter unter ihrer lokalen kommunistischen Gewerkschaftsleitung. Während des Streiks zahlt die Stadt für zwei Wochen rechtswidrig aus Wohlfahrtsmitteln die Streikgelder, ohne dass der OB einschreitet. Im gleichen Jahr sagt die aufstrebende Firma Opel aus Rüsselsheim ihre Ansiedelungspläne in Offenbach ab.

 Die Jahre ab 1927 entwickeln sich zunehmend zur Schreckensfahrt. Offenbach ist zwar mit dem Währungsschnitt weitgehend entschuldet worden, doch hat es nur vier Jahre gedauert, und die Finanzlage ist schon wieder kritisch. Nun sind es die Personalkosten der Stadt und die Wohlfahrtslasten, die den Haushalt in Schieflage bringen. Offenbach leistet sich fünf Bürgermeister mit Gehältern im zehnfachen der Kommunalarbeiter, besoldet ihre Beamten nach Reichstarif und überhöhter Eingruppierung und verschleppt trotz Mahnung aus Darmstadt die Korrektur.

Die Wohlfahrtslasten sind hoch, weil sich in der Krise der Lederindustrie und durch die „Rationalisierung“ im Maschinenbau bereits 1926 ein Sockel von 6.500 Arbeitslosen herangebildet hat. Man hat zahlreiche soziale Sonderleistungen zu Lasten der Stadt beschlossen. Dadurch sind die Offenbacher Wohlfahrtsempfänger vergleichsweise günstig gestellt und können sich andernorts nur verschlechtern. Ein ums andere Mal predigt der OB anlässlich der Haushaltsberatungen für eine Konsolidierung des Haushalts. Seine eigene Partei lässt ihn im Regen stehen. Die starke kommunistische Fraktion fordert stets extreme Ausgabenprogramme. Gefragt nach der Finanzierung heißt es: „für die Beamten ist ja Geld da“.

Dann wird Offenbach mit der großen Wirtschaftskrise zur Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote im Reich. Die Wohlfahrtskosten explodieren, Zahlungsfähigkeit wie Kreditwürdigkeit sind gefährdet und ein Staatskommissar droht, wenn sich die Stadt den Sparvorgaben des Reichs verweigert. Der OB fährt nun häufig mit Delegationen nach Darmstadt und Berlin, um Hilfe von Land und Reich zu erbitten. Verständnis gibt es immer reichlich - und dabei bleibt es.

 Im letzten Jahr vor der braunen Machtergreifung regiert der OB auf Basis seiner Ermächtigung zur Haushaltsführung auch gegen Beschlüsse der Stadtverordneten. In einer seiner letzten Haushaltsreden (22.September 1932) berichtet Granzin, jetzt hingen 38.000 Menschen oder 46% der Bevölkerung in Offenbach von öffentlichen Unterstützungen ab. Sein Sparhaushalt wird von allen Parteien einschließlich der SPD abgelehnt.

Die Absetzung des Oberbürgermeisters

Am 28.3.1933 um elf Uhr sammelt sich die SA auf dem Wilhelmsplatz und marschiert, angeführt von Ringshausen, Stein und Lang, zum Rathaus…Mittlerweile trifft der Regierungsrat und Direktor des Offenbacher Versicherungsamtes Schönhals ein. Die vier Nationalsozialisten überreichen Oberbürgermeister Max Granzin (SPD) einen Brief des hessischen Innenministers: „Aufgrund der Verordnung zur Sicherung der Verwaltung der Gemeinden vom 20. März 1933 werden Sie mit sofortiger Wirkung von dem Posten des Oberbürgermeisters von Offenbach entlassen. gez. Dr. Werner."

Schönhals wird zum kommissarischen Oberbürgermeister ernannt. Nach dieser Absetzung erscheinen Ringshausen, Schönhals, Stein, Lang und die SA- und SS-Führer am Balkon des Rathauses. Ringshausen hält eine Rede, die Hakenkreuzfahne wird gehisst. Oberbürgermeister Granzin, die Bürgermeister Aull und Rech, sowie Direktor Zschech müssen das Rathaus sofort verlassen (Quelle: Offenbacher Nachrichten, 29.3.1933).

OB-Wahl in der Vorkriegszeit - Ein Rückblick

Noch zu Kaisers Zeiten hatte sich in Offenbach eine im Deutschen Reich einmalige kommunalpolitische Sondersituation entwickelt: unter dem großherzoglich-hessischen Verhältniswahlrecht (gleiches Wahlrecht der Männer ab dem 25. Lebensjahr) hatten die Offenbacher Sozialdemokraten unter Carl Ulrich und mit straffer Disziplin ihr Wählerpotential voll ausgeschöpft. Bei Wahlbeteiligungen von über 80% errangen sie bereits 1906 und dann wieder ab 1911 eine zwei-Drittel-Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung der Arbeiterstadt.

1907 stand die Wahl des Oberbürgermeisters an. Gegen den seit 1887 amtierenden Liberalen Wilhelm Brück trat aber kein Sozialdemokrat an, denn eines war sicher: niemals würde ihn der Großherzog in Darmstadt bestätigen. Diesen skandalösen Präzedenzfall hätte Berlin zu verhindern gewusst. So wurde 1907 mit den Stimmen der SPD der „Freisinnige“ Dr. Andreas Dullo aus Königsberg zum OB gewählt und blieb es über die goldenen Jahre bis 1914, über die schlimmen Jahre des 1. Weltkriegs und über den Zusammenbruch der Monarchie bis zum Herbst des Jahres 1919.

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